Texte zu Seminaren: Haltung und Bewegung im Unterricht Präparation zur Inszenierung 3 Teilnehmer/innen: 1 Kommt rein, begrüßt, schreibt an die Tafel: „Thema der Stunde: Ausdruck, Verkörperung, Darstellung, geht wieder raus. 2 Kommt rein, schreibt dazu: Selbstmitteilung“. Wendet sich von der Tafel den Teilnehmern zu, blickt sie wortlos an und geht. 3 Kommt rein, schreibt darunter: „Wir werden dahinter kommen“. Die übrigen Teilnehmer/innen notieren sich stichwortartig, was sie wahrnehmen. Zur Auswertung der (doppelten) Inszenierung: 1 eindruckorientiert 1 pathisch-orientiert Bewegungsart sym-, em-, anti- Stimmung Interesse Physiognomie meinesgleichen Atmosphäre Du, Subjekt 1 erkenntnisorientiert Kleidung, Schuhe Farbe der Pullover Schmuck Augenfarbe Unterscheide: Gewahrwerden und Urteilen Ausgang: Anschauung nimmt wahr: Selbstbewegung subjektives Tun, sinnhaft Leiblichkeit als Existenzform doppelte Reflexivität (Selbstverhältnis) Plessner: Exzentrische Positionalität Beispiel: Ich stelle mich auf die Waage Aufgrund der exzentrischen Positionalität können wir „hinter etwas kommen“, sogar hinter uns selbst. Exz. Pos. ermöglicht und erzwingt: – was wir Ausdruck nennen: Verkörperung, Selbstmitteilung, Darstellung (auch gegenständlich: Mimesis, Kunst), – Verlegenheit (Grenzsituation, vgl. Lachen und Weinen), – Verkörperung, Darstellung (vgl. „sich aufführen“), – Echtheit/Authentizität (trotz „notwendiger Verstellung“). Unterscheidung der Bereiche Öffentlichkeit und Privatheit Öffentlichkeit ist nicht denkbar ohne den Gegenpol Privatheit: eine dialektische Einheit zweier Wirklichkeitsbereiche. Sennett: Wie ein Molekül aus zwei Atomen, S. 133: "Öffentlichkeit und Privatsphäre bilden ein Gesellschaftsmolekül" (das Molekül spaltet sich im 19. Jh.). Es gibt auch unterschiedliches Verhalten in den beiden Bereichen: Verhalten im Privatbereich, Verhalten in der Öffentlichkeit, Verhalten in der Schulklasse, unsere Inszenierung. Unterscheidung bei R. Sennett: Verkörperung und Darstellung. Verkörperung von Gefühlen: respiration („... die nur für das Selbst gegenwärtig und wirklich sind"). Darstellung von Gefühlen: presentation ("die an sich bedeutsam sind". So für das 18. Jh., vgl. S. 60). Vgl. auch „Eindruck machen“ und „zum Ausdruck bringen“. Heute gelte – so Sennett – das Verkörpern als authentischer, moralisch ehrlicher, die Darstellung sei verpönt. Aber ist das Mangel oder Fortschritt? Präparation zu Aspekt A: "Ausdruck" Ausgangsbegriff: Lebewesen. Um wissenschaftlich ein Erstes zu finden auf die Frage: Was ist der Mensch. Lebewesen in Leiblichkeit, einschl. Sprache. Menschliche Lebendigkeit enthält: Leben, Erleben, Lebenführen (in Sprache, Arbeit, Herrschaft). Leiblichkeit meint die nur dem Menschen zukommende spezifische Art und Weise von Lebendigkeit. Leiblichkeit ist eine Existenzform, Leib = Bedingung der Möglichkeit unserer Existenz (Merleau-Ponty) Dialektik von Innen und Außen, Innenwelt und Außenwelt, Subjekt und "Objekt", begründet im Leibsein und Leib-/Körperhaben = exzentrische Positionalität (H. Plessner). Sie ermöglicht: Verkörperung, Expressivität, Ausdruck/Eindruck. Plessner: „natürliche Künstlichkeit“: Mensch muss sich haben, sich schaffen, stehen/widerstehen, Standpunkt einnehmen. „Der Mensch lebt also nur, wenn er ein Leben führt. So bricht ihm immer wieder unter den Händen das Leben seiner eigenen Existenz in Natur und Geist, in Gebundenheit und Freiheit, in Sein und Sollen auseinander. Dieser Gegensatz besteht. Naturgesetz tritt gegen Sittengesetz, Pflicht kämpft mit Neigung, der Konflikt ist die Mitte seiner Existenz, wie sie sich stellt. Er muss tun, um zu sein. Aber die vis a tergo, die aus seinen Trieben und Bedürfnissen auf ihn einwirkt, reicht nicht aus, um den Menschen in der ganzen Fülle seiner Existenz in Bewegung zu halten. Eine vis a fronte ist nötig, eine Macht im Modus des Sollens erst entspricht der exzentrischen Struktur. Sie ist der spezifische Appell an die Freiheit als das Stehen im Zentrum der Positionalität und das Movens für den geistigen Menschen, für das Glied einer Mitwelt. Durch die Exzentrizität seiner Positionsform ist der Mensch ein Lebewesen, das Anforderungen an sich stellt“ (Plessner, Bd. IV, S. 391f.). Expressivität Sie ist dadurch gegeben, dass beim hochentwickelten Lebewesen Mensch Körper und Bewegung zugleich Funktion und Ausdruck sind. Leiblichkeit ist nicht blo­ßes Körpersein, sondern Verkörperung; subjekthaft, leibhaftige Vernunft. Diese Erkenntnis ermöglichte und begründete an der Folkwangschule das moderne Tanztheater: die Bewegungen senden nicht eine Botschaft aus („sagen“ nichts), sondern sind, was sie sind: stehen, gehen, drehen, groß, weit, klein, eng, ausgreifen, krümmen, fallen, liegen, vereinzelt, im Ensemble etc. Vgl. Rudolf von Laban. Der in der Bewegung selbst liegende Ausdruck und Eindruck und die mögliche Wirkung können absichtlich arrangiert werden (Choreographie). Darin liegt die Möglichkeit einer Aussage/Bedeutung. Was also im Tanztheater künstlerisch ge­nutzt wird, liegt in jeder Alltagsbewegung vor. Ähnliches gilt für den Schauspieler. Menschen sind als geschichtliche Lebewesen durch einen Ausdrucks- oder Ver­körperungszwang ausgezeichnet und zugleich durch einen Ausdrucks- oder Verkörperungswillen. Der von uns aktuell gegebene und der uns aktuell begeg­nende Ausdruck beruhen also auf Zwang und Willen (unwillkürlich, willkür­lich). Ausstrahlung ist nur ein anderes Wort für diese Verkörperung; es meint oft eine besonders eindrucksvolle und eindringliche Verkörperung. Da sich die Verkörperung in Tätigkeit/Arbeit/Handlung vollzieht - woraus die spezifische Geschichtlichkeit der Menschen geworden ist und besteht -, ist sie geschichtlichem Wandel unterworfen. Zeichen Zeichen zeigen auf etwas, be-deuten etwas, sind insofern Stellvertreter. Menschen sind (zunächst) nicht Zeichen, auch nicht ihre Gesten und Handlun­gen. Ihre Gestalt, ihr Ausdruck, ihr Blick, ihr Lachen und Gehen sind sie selbst, nicht Zeichen für etwas. Falls sie durch sich etwas mitteilen, teilen sie sich selbst mit. („Zeigen“ Menschen als solche schaffenden Lebewesen einen besonderen Sinn von Sein an? Tönt durch sie etwas hindurch - personare? Vgl. George Steiner.) Menschen kleiden und schmücken sich, statten sich aus. Das unterliegt der Mo­de und diese den Gesetzen der Wirtschaft: dem Kapitalverwertungsgesetz (kurz: Wertgesetz). Aufgrund der Marktgesetze stehen die einzelnen zueinander in Konkurrenz und in einem allgemeinen Tauschzusammenhang. Nicht nur Lei­stung und Waren, Marken und Outfit sind von diesem Zusammenhang gezeich­net, sondern auch Gebaren, Gehabe und Habitus, die Verkörperung. Dadurch kommt es, dass wir in Outfit, Gehabe und Verkörperung zugleich Zeichen geben und sind. Die einzelnen signalisieren einander einen bestimmten Status, Rangplatz, ihre Verwicklung in das Wertgesetz. Das zuletzt Angesprochene liegt der Wahrnehmung und der gelernten Wahrnehmungs-Weise am nächsten. Da dies Letztere aber ohne das Erstere nicht sein kann, vielmehr in ihm ermöglicht ist, und insofern beide nicht deckungsgleich sind, bleibt auch die Möglichkeit, tiefer wahrzunehmen. In der Selbstäußerung und -mitteilung bringt sich dann mehr zum Ausdruck, als die Zeichen bedeuten. Präparation zu Aspekt B: „Disziplinierung“ [Tafelbild zu Aspekt B: Haltung und Bewegung als Disziplinierung] (Macht schafft) Formierung der Disziplinargesellschaft (Zwang) (vgl. Zsfg. in Foucault S. 279 - 292ff.) „Die >Aufklärung<, welche die Freiheiten entdeckt hat, hat auch die Disziplinen erfunden“ (S. 285). Anordnung (doppeldeutig: befohlen und bestimmte Ordnungsart; den Zusammenhang bildet die Macht) Ordnung Zurichtung Verteilung/Platzanweisung = Tableau (bei Foucault) „hier herrscht Ordnung“: also Macht (unsichtbar) und Überwachung: vgl. Monitoren, Schließkarte vgl. Guibert, J. A. 218 Warum die äußeren Zwangsmittel geringer werden konnten 1. Prüfung 2. allg. Überwachung 3. Verinnerlichung (über Gratifikationen, Noten, Berechtigungswesen, gesellschaftl. Stellung, Ideologie der Leistungsgesellschaft) zu Prüfung S. 240ff., Panoptismus S. 260 Ambivalenz oder Dialektik: Macht ist Wissen (know how), Wissen ist Macht, Macht ist Ermöglichung. „Man muss aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, [.....]. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches.“ S. 250 „Der disziplinierte Körper als lebende Maschine ist der Triumph modernen Wissens“ (König, S. 67). Weitere Texte zu Aspekt A: Eindruck Ausdruck, Leiblichkeit 1. Auszug aus: F. J. J. Buytendijk: Allgemeine Theorie der menschlichen Haltung und Bewegung, Berlin 1956, S. 24 – 26. 2. Das Subjekt In der Anschauung der Selbstbewegung erfassen wir das Selbst-Sein als ein Subjekt-Sein (ein être sous-jeté), das ebensosehr der eigenen Begrenzung unterworfen ist als es andererseits das Vermögen ihrer Überschreitung impliziert. Dies ist die animalische Art des In-der-Welt‑Seins.- Wenn wir für das animalische Leben den Begriff der Selbstbewegung prägen, so muss dieser als das Kriterium und Wesensmerkmal der animalischen Existenz verstanden werden. Das bedeutet nicht nur die Bildung eines philosophischen, sondern auch eines wissenschaftlichen Begriffes. Als philosophischer Begriff führt er zu der Frage, was dieses „Selbst", das sich bewegt, in Wirklichkeit sei; als wissenschaftlicher Begriff lässt er uns fragen, welche Einsicht in die Ordnung der Naturerscheinungen durch diesen Begriff erworben werde. Hier soll uns nur dies letztere Problem beschäftigen, und zwar insbesondere im Hinblick auf die Lehre der menschlichen Bewegung. Im voraus müssen wir uns darüber im klaren sein, dass das „Selbst" als Subjekt, das bewegend über den eigenen Leib verfügt und sich als Ursache der wahrgenommenen Bewegung offenbart, nicht „irgendwo", etwa im Nervensystem lokalisiert, und ausfindig gemacht werden kann. Die animalischen Funktionen setzen ein Subjekt voraus, das sich bewegt und ‑ Eindrücke empfangend ‑ bewegt wird. Ebenso wie der Funktions begriff, ermöglicht erst der Begriff des Subjekts eine Bewegungslehre. Alle konkreten Erfahrungen über das Verhalten von Mensch und Tier werden dadurch a priori begründet. Wahrnehmung, Handlung und Ausdrucksbewegung sind die drei wichtigsten Verhaltensfunktionen, die sich in der Bezugssphäre von Indi viduum und Umwelt vollziehen und die den Begriff des Subjektes voraussetzen. Das Subjekt ist es, welches etwas wahrnimmt, tut oder zum Ausdruck bringt. Deshalb sagt VON WEIZSÄCKER mit Recht: „Leben erscheint, wo etwas sich bewegt, also durch angeschaute Subjektivität"( Der Gestaltkreis, S. 167. Leipzig 1943). Sehr wichtig ist in dieser Formulierung, dass die Subjektivität „angeschaut“ wird. Die übliche Meinung, wonach wir bei einem sich bewegenden Menschen oder Tier ein Subjekt „annehmen“, eventuell auf Grund der Analogie mit unserem eigenen Verhalten, ist daher denn auch ganz unhaltbar. Im Erschauen der Funktionen begreifen wir diese als sinnvolle Selbstbewegungen und erkennen daher Mensch und Tier als erkennende und zielstrebige Subjekte. Ein Kind ist sich daher auch früher dessen bewusst, dass jemand etwas tut, als es im Reflektieren des eigenen In-der-Welt-Seins, sein eigenes Tun, sein eigenes Subjekt-Sein entdeckt1. Was Minkowski von der „Seele" sagt, einem Begriff, den wir in unserem Gedankengang wegen der Vielseitigkeit seines Inhaltes vermieden haben, gilt ebensosehr von dem Subjekt als von dem „Selbst" der Selbstbewegung: »L'introspection ne nous met jamais en présence de notre âme, ni de ce qui peut animer notre vie intérieure; par contre, en regardant le monde s'étaler devant nos yeux, nous »devinons«, nous saisissons sur le vif l'existence de ce qui l'anime. Nous admettons une âme pour nous‑mêmes par l'analogie avec les âmes des autres, tandis que pour les faits psychiques l'analogie ‑ si en général analogie il y a ‑ emprunte le sens inverse«2. Eine genaue Analyse unserer Bewusstseinsinhalte lehrt, dass das „Ich“, als Subjekt aller Beziehungen zu jedem möglichen Objekt, nie als solches als Bewusstseinsinhalt gegeben ist. Es kann nur mittelbar erfahren werden in unserem Dasein in der Welt, also in unserem Handeln, Fühlen, Denken usw., oder, wie man wohl sagt, das „Ich“ zeigt sich nur im existentiellen Bewusstsein. Weder für das eigene Ich, noch für das Subjekt, als welches wir einen anderen Menschen erfahren, gibt es eine begriffliche Formulierung, Definition oder Beschreibung. Das Subjekt lässt sich nicht in Zeit und Raum vorstellen und ist im Denken nur bildlich, nur analog bestimmbar. Die wahrnehmbare, Wirklichkeit und unsere inneren Erfahrungen verweisen nur auf das eigene Ich, auf die Persönlichkeit anderer und auf das vitale Zentrum des Tieres. Wenn ich, ganz gleich auf welche Weise, an mich selbst denke oder meinen Leib sehe und betaste, meine Stimme höre, so ist das existentielle Bewusstsein die Vorbedingung jeglicher Erfahrung und allen Denkens. Obwohl dieses Wissen vom unteilbaren, unveränderlichen Aktzentrum evidenter ist als irgendwelche andere Erkenntnis, so ist es dennoch weder beweisbar noch aufzeigbar. Wenn man von einem Hunde sagt, er habe Schmerzen, suche nach Nahrung oder auch, er habe einen Kopf und vier Beine, dann kann niemand näher angeben, wo oder was dieser „Hund selbst“ sei, der das Subjekt seines Wahrnehmens und Handelns ist, der über seinen Leib verfügt. Dennoch ist eine solche Ausdrucksweise auch in wissenschaftlicher Hinsicht sinnvoll, denn sie bekundet die am meisten evidente und grundlegende Wirklichkeitsstruktur des lebendigen Tieres: sein Subjekt-Sein, das sich (in bestimmter Weise) der Außenwelt gegenüber und in der eigenen Leiblichkeit erfüllt. Das Leben erkennen wir nur, indem wir an ihm teilnehmen. Dieses teilnehmende Erkennen ist der eigentliche Inhalt des Begriffes Erfahrung. Jegliche andere Erkenntnisweise verwirklicht sich nur da, wo wir uns als „neutrale" Beobachter einer Realität gegenüberstellen, die unabhängig von unserem eigenen Dasein bestimmte wechselseitige Beziehungen zeigt. In der existentiellen Teilnahme ‑ man sagt auch wohl weniger genau: in der miterlebenden Anschauung des Lebendigen ‑ kann der Grund, der das lebendige Geschehen bestimmt, nicht zu einem selbständigen Objekt, einem Gegenstande, werden. Er kann also nicht in derselben Ebene wie das physische und psychische Geschehen erscheinen. Die Subjektivität eines Menschen oder Tieres ist dieser auf konkrete Weise in der Anschauung des Verhaltens erscheinende Grund. Sie würde jedoch zu einem leeren Begriff verkehrt, wenn man sie zu einem Objekt, einem Gegenstande unseres Vorstellens und Denkens machte. Was der Hund im Hunde ist, seine Individualität, was der Mensch im Menschen ist, seine „Ichheit", seine Persönlichkeit, bleibt uns also noch auf ganz andere Weise verborgen als seine individuellen (auch subjektiv genannten) Bewusstseinsinhalte. Ein Bewusstseinsinhalt ist in der Tat nur einem einzigen existierenden Subjekt gegeben. Nur wer Austern isst, weiß, wie sie ihm schmecken. Dies bleibt jedem anderen verborgen. Aber wenn wir auch wissenschaftlich die subjektiven Qualitäten nicht objektiv erkennen können, so wissen wir dennoch, dass Bewusstseinsinhalte: Gedanken, Motive, Gefühle, Phantasien, Träume usw. des Anderen auch Gegenstände unseres Bewusstseins werden können. In diesem Sinne gibt es eine objektive psychische Welt, die wir mit unseren eigenen psychischen Erlebnissen und mit der wahrnehmbaren physischen Welt in Zusammenhang bringen können. Das „Lebendige“ jedoch ist uns nur in Form lebender Organismen gegeben, die in bezug für „Welt“ stehen. Was wir dieses Tier oder diesen Menschen nennen, ist dann die Einheit, die zugleich überall und nirgends im Tier oder Menschen waltet. Sie ist das Tier oder der Mensch selbst; sie ist nicht etwa der Kopf oder die Glieder, noch irgendein Bewusstseinsinhalt, sondern „besitzt" dies alles als Einzelfaktoren. Der Mensch kann sich selbst und auch etwas anderes bewegen, sich selbst und das andere wahrnehmen, ohne als Subjekt seine Identität zu verlieren. Das Subjekt ist der tragende Grund, aller Bewegung, jeglichen Inhaltes - und jedweder Form der Verwandlung; doch was es selbst ist, bleibt verborgen. Wir können es mit Leibniz eine Monade nennen, ein echtes »ens singulare«, »un être capable d'action«, unteilbar und einfach, ohne Gestalt oder Räumlichkeit, ohne Entstehen oder Vergehen, einen rein metaphysischen Punkt. Wir müssen dann aber auch einsehen, dass diesem Begriff der Monade ausschließlich in einer Ontologie, nicht jedoch in der Wissenschaft ein Inhalt zukommt. Deutlich sagt das die scholastische Philosophie: Das Subjekt ist kein „ens" sondern nur „quo ens est“, wodurch das Seiende ist. Dennoch ist es von größter Bedeutung, das Subjekt in unsere Betrachtungen über die menschliche Bewegung einzuführen oder, anders gesagt, diese Bewegungen als Selbstbewegungen zu verstehen. Aber wenn das Subjekt philosophisch nicht anders zu bestimmen ist, denn als metaphysischer Punkt, also ohne Dimension, Inhalt und Form, ja wenn es nicht einmal „ens“, sondern nur das „Wodurch“ des Seienden ist, wo kann dann der Wert eines solchen Begriffes in der Wissenschaft liegen? Ist es nicht eine bloße Anlehnung an den üblichen Sprachgebrauch, wenn man in dem Erfahrungsgebiet der Wissenschaft von einem Subjekt spricht? Der Begriff' Subjekt scheint mir von grundsätzlicher Bedeutung zu sein, weil erst der Begriff der Selbstbewegung als Grundkategorie der lebendigen menschlichen Bewegungen die Einsicht in solche Bewegungen ermöglicht. 2. Auszug aus: Hermann Schmitz, Höhlengänge, Über die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie, Bonn 1997 Mitteilung durch Ausdruck ist das Vielsagen eines vielsagenden Eindrucks, d. h. die wahrgenommene Gegenwart seines chaotisch-mannigfaltigen, ganzheitlichen Hofes der Bedeutsamkeit mit mehr oder weniger Explikation einzelner Sachverhalte, Programme und Probleme aus ihm. Ausdrucksvoll im prägnanten oder eminenten Sinn ist ein Eindruck aber erst dann, wenn er zudem mit Atmosphären des Gefühls geladen ist. Ich habe mehrfach und ausführlich gezeigt, dass Gefühle keine Seelenzustände sind, sondern räumlich randlos ergossene Atmosphären, räumlich aber in einem Sinn, wie die einprägsame Stille mit Weite, Gewicht und Dichte oder das phänomenale (nicht physikalisch als Zustand der Luft gedeutete) Wetter räumlich ergossen sind; (S. 121) Die Auffassung des Ausdrucks als die Mitteilung, die Eindrücke (namentlich gefühlsgeladene) durch den chaotisch-mannigfaltigen, mehr oder weniger explikablen Hof ihrer Bedeutsamkeit machen, löst ein Rätsel, das sonst dem Ausdrucksverständnis einen Anschein von Zauberei geben würde. Man kann es an ein von Ludwig Klages erdachtes Beispiel anschließen: „Die feinfühlige Frau aus dem Volke, die dem heimkehrenden Gatten mit einem Blick leichte Gereiztheit, dem Sohn leise Verstimmung ansieht, wäre, wenn darum befragt, völlig außerstande anzugeben, wie die Veränderung z. B. der Gesichtszüge beschaffen war, auf die sich ihr Urteil stützte. Sie würde sagen, sie habe leichte Gereiztheit oder leise Verstimmung gesehen; das aber wüsste sie nicht, welche Verschiebung beweglicher Gesichtsteile mit den ,gesehenen` Gemütszuständen einherging.“ Hier entsteht das Problem, wie das Vermittelte deutlich erfasst werden kann, wenn sich das Vermittelnde noch nicht einmal bis zur Angebbarkeit abgehoben hat. (S. 122) Meine Antwort lautet, dass weder bloß Merkmale, noch Gegenstände als Fälle einer Klassifikation auf der Grundlage leicht ablesbarer Merkmale, wahrgenommen. werden, son­dern Situationen und speziell Eindrücke, in deren Hof der Bedeutsamkeit von vorn herein Sachverhalte, Programme und Probleme begegnen, die bloß explizierend frei­gelegt werden müssen aber keiner Symbolisierung oder Vertretung bedürfen, weil sie zum Wahrgenommenen genau so direkt gehören wie die Verschiebung der Gesichtszü­ge, mit denen sie im Eindruck verschmolzen sind. Ein solcher Sachverhalt könnte sein, dass der heimkehrende Mann leicht gereizt ist, ein Programm, dass man beim Umgang mit ihm zunächst etwas Vorsicht und Schonung walten lassen möge, ein Problem, dass unsicher ist, was eigentlich los ist und was dahintersteckt. Das Programm und das Problem kann die Frau im Beispiel von Klages ihrem Mann genau so gut ansehen wie den Sachverhalt, ohne zu überlegen und Schlüsse zu ziehen. Der Rückzug auf einen eng begrenzten Bereich primärer und sekundärer Sinnesqualitäten als Quelle der aus der Wahrnehmung zu entnehmenden Informationen ist eine unnötige Konzession an das Dogma des Physiologismus, der so tut, als müssten solche Informationen über phy­sikalische und chemische Reize ins Gehirn geleitet und dort auf gänzlich rätselhafte Weise in Sinnesqualitäten umgewandelt werden; ich habe wiederholt darauf hingewie­sen, dass dieses Dogma auf Verwechslung einer regelmäßigen (und nur insofern not­wendigen und zureichenden) „Begleitmusik“ mit einem Kanal der Wahrnehmung beruht. Ein Restproblem bleibt aus dem Beispiel von Klages allerdings noch übrig: Woher stammt die Du-Evidenz des Betrachters, es bei dem Mitmenschen mit einem Bewussthaber zu tun zu haben, der die Gereiztheit oder den Zorn usw. auch selber spürt? (S. 123) Die Intuition der Erfassung des Ausdrucks im Eindruck bedient sich eines Kanals, der aber nicht der Kanal der physikalisch-physiologischen „Begleitmusik“ (Licht- oder Schallwellen, Sinnesorgane, Nerven, Gehirn, „Verzauberung“ von Elektrizität in Sin­nesqualitäten) ist; genau besehen ist es ebenso absurd, über diesen Kanal Sinnesqua­litäten transportieren zu wollen, wie Sachverhalte, Programme und Probleme. Die Phä­nomenologie der Wahrnehmung muss vielmehr mit eigenen Begriffen entwickelt wer­den und lässt sich erst dann fruchtbar und sachgemäß zur Physiologie in Beziehung setzen. Ihr Grundbegriff ist derjenige der leiblichen Kommunikation vom Typ der Ein­leibung. (Über einen zweiten Typ, die Ausleibung in Trancezuständen, brauche ich hier nicht zu sprechen.) Einleibung klärt auch das vorhin besprochene Rätsel der Du-Evidenz. Um sie verständlich zu machen, gehe ich zunächst auf die Dynamik des Leibes ein. Unter „Leib“ verstehe ich das Gegenstandsgebiet alles dessen, was jemand ohne Rück­sicht auf das Zeugnis der fünf Sinne und des perzeptiven Körperschemas ‑ des aus dem Sichbesehen und Sichbetasten gewonnenen habituellen Vorstellungsbildes vom eige­nen Körper ‑ in der Gegend seines Körpers von sich spürt. (S. 125) Einleibung ist die Spreizung des schon zum eigenen Leib im vitalen Antrieb gehörigen Dialogs von Engung und Weitung in sol­chem Maße, dass der eigene Leib dadurch mit begegnenden Sachen (z. B. Personen, Leibern, unbelebten Körpern), die ihm nicht angehören, zu einem Gebilde, das die Struk­tur leiblicher Dynamik besitzt, vereinigt wird. Sie gehört zum Leben von Anfang an, wahrscheinlich schon im embryonalen Stadium und sicherlich in der symbiotischen Lebensweise des Säuglings. Das gewöhnliche Sehen ist schon Einleibung. (127) Von prinzipiell gleicher Art ist die Leistung der von Klages erfundenen feinfühligen Ehefrau, die dem heimkehrenden Gatten auf den ersten Blick leise Gereiztheit oder Verlegenheit ansieht, oder auch, dass er etwas unter stürmischer Begrüßung zu verber­gen hat. Klages fingiert, die Frau werde sagen, sie habe das gesehen; ebenso gut könnte ich mir vorstellen, dass sie sagte, sie habe sich „eigentümlich berührt gefühlt“. Sich vom Partner spezifisch berührt zu fühlen ‑ schon auf den ersten Blick ‑, ist Symptom der Einleibung. Wie der Autofahrer auf den Eindruck der Straße und des Betriebs dar­auf, denen er durch seinen Blick eingeleibt ist, motorisch reagiert, so reagiert die Frau sensibel auf den Eindruck des Partners, dem sie in gleicher Weise eingeleibt ist, indem sie diesem Eindruck aber mehr an hintergründigem Ausdruck entnimmt, um ihr Verhal­ten auf längere Sicht danach zu richten, während dem Autolenker nur am augenblick­lichen Fortkommen gelegen ist. In beiden Fällen bewährt die Einleibung ihre antizipa­torische Kraft, die ihr zukommt, weil sie am eigenen Leib das quasi leibliche Ganze, das über ihn hinausgeht und ihn ad hoc mit der aktuellen Situation zusammenschließt, vorwegzunehmen vermag, nicht wesentlich anders als so, wie man in jedem Takt eines wohlbekannten Liedes gleich die ganze Melodie hört. Dieses antizipatorische Vermö­gen ist unentbehrlich für das Arrangement eines raffinierten Ballets, das sich unbeach­tet täglich millionenfach auf den bevölkerten Gehwegen der Städte abspielt. Wenn ein Passant dem entgegenkommenden Nächsten nicht in die Arme laufen will, muss er nicht nur dessen Position berücksichtigen, sondern auch vorwegnehmen, wie dieser weiter­gehen werde, und obendrein seine Schritte gleich so lenken, dass er mit dem bevorste­henden Kurs der Nachfolgenden nicht kollidiert. Diese Aufgabe, die für eine mathema­tische Lösung wahrscheinlich zu kompliziert ist, wird von den ungeschulten und unvorbereiteten Straßenpassanten, von denen jeder unabhängig vom anderen nur sein eigenes Ziel im Kopf hat, durch flüchtige, beiläufige, achtlose, ständig wechselnde Einleibung in einander wie selbstverständlich anstandslos bewältigt. Nicht weniger als diese motorische Virtuosität gehört zum gedeihlichen Zusammenleben der Menschen die sensible, die Ortega y Gasset als den „Takt“ preist „jenen Sinn der inneren Wahr­nehmung, mit dem wir gleichsam die fremde Seele abtasten, ihre Umrisse, die Rauheit und Weichheit ihres Charakters fühlen.“ „Diese Erfassung unseres Nächsten ist tiefer oder oberflächlicher je nach dem Grade unseres angeborenen Scharfblicks. Ohne sie wäre das elementarste soziale Zusammenleben und jeder Umgang mit Menschen unmöglich. Jedes Wort und jede Geste von uns wäre in Gefahr, den Partner zu verletzen.“ Diese sensible Anpassung ist ebenso wie die motorische ein Werk der Einleibung, eine Frucht der von dieser durch quasi-leibliche Integration über die räumliche Distanz hinweg vermittelten Fähigkeit, am eigenen Leibe zu spüren und mit dem eigenen Leibe feinfühlig gleichsam aufzusaugen, was ihm als Eindruck begegnet und was dieser Eindruck als Ausdruck zu sagen hat. (S. 128f.) Hiernach wird man annehmen dürfen, dass wechselseitige Einleibung die notwendige und zureichende Be­dingung für die sogenannte Du-Evidenz ist, für die unwillkürliche Gewissheit, es beim Partner mit einem Bewussthaber zu tun zu haben. Sie funktioniert im Verhältnis zu den für Menschen ausdrucksfähigen Tieren ebenso gut wie unter Menschen und bedarf kei­ner Sprache. Freilich ist sie nicht untrüglich. Wechselseitige Einleibung gibt es auch im Verhältnis zu Sachen, die keine Bewussthaber und nicht einmal Lebewesen sind. Ein Beispiel dafür ist die „zentaurische“ Verbundenheit leidenschaftlicher Auto- und Mo­torradfahrer mit ihrem Fahrzeug, das durch Rückmeldung in wechselseitiger Einlei­bung ihre motorischen Impulse so anstachelt, wie das Pferd die des Reiters. Hunger nach Symbiose ist oft Ursache des Leichtsinns am Steuer. Das Fahrzeug wird dann unwillkürlich als ebenbürtiger, impulsgebender Partner erlebt, als Lebewesen und Bewussthaber wie das Pferd, auch wenn diese Du-Evidenz in der Reflexion nicht ernst genommen wird. Auch unter anderen Umständen ist sie nie apodiktisch gewiss, sondern nur eine mit meist ungetrübter Selbstverständlichkeit sich aufdrängende Vorwegnah­me, ausgeworfen wie ein Lasso, in das der von dem Wurf heimgesuchte Werfer im Spüren am eigenen Leib sich selbst verstrickt. (S. 130) 3. J. F.: Exzentrische Positionalität Die aufrechte Haltung bringt etwas zum Ausdruck, was für den Menschen als Leib- und Lebewesen im tiefsten kenn­zeichnend ist: er steht seiner Welt frontal gegenüber, während er zugleich zu ihr gehört. Leiblichsein enthält selbst diese beiden Momente: Menschen sind Leib und haben ihn als Körper. So in die Welt „gestellt“ zu sein, nennt Hel­muth Plessner die „exzentrische Positionalität“ des Menschen. Ein Mensch ist nicht mehr so zentriert wie ein Tier, wenn auch Menschen sich gelegent­lich fast ganz eins mit sich und dem Ganzen fühlen können; aber sie fühlen sich wissend als Objekt, weil sie beides sind: Subjekt und Objekt, für sich und andere. Dürckheims Sprechen vom „Finden der Mitte“ ist möglich und nötig aufgrund dieser Exzentrizität, dass Menschen zugleich leiblich sind und Körper haben. Sie sind Subjekt – im oben genannten zweiten Sinn3 –, indem sie sich zu sich selbst in ein Verhältnis setzen kön­nen. Menschsein sei „gebrochene Ursprünglichkeit“, sagt Plessner, „die nicht über sich selbst verfügt“, er falle nicht mit dem zusammen, was er ist. In dieser Crux des Uneinsseins mit sich selbst und seinem Lebensraum liegt die Ermöglichung des Objektbezugs, des Werkzeuggebrauchs, des Han­delns. Die Exzentrizität bedeute Vorzug und Schwäche, Freiheit und Ge­fährdung, Chance zur Selbstgestaltung und Verlust animalischer Sicherheit. Sie ist auch der Grund für Unberechenbarkeit, Unvorhersehbarkeit oder Un­voraussagbarkeit, einschließlich der Selbstgestaltungsarbeit des Subjektes an sich selbst. Niemand ist seiner selbst und seiner Selbstgeschichte so mäch­tig, dass er der gebrochenen Urheberschaft entginge. Exzentrizität also ist die Ermöglichung von Gelingen und Misslingen oder Verfehlen. Plessner spricht nicht von „zweiter Natur“ wie Adolf Portmann und andere, sondern von Existenz und Schicksal. Schicksal sei nicht naturgesetz­liche Bestimmtheit, sondern Resultat unseres existentiellen Einlassens und Kämpfens in Freiheit; in einer Freiheit – so füge ich hinzu –, die eine Quali­tät von Determiniertheit ist, dass ein Vollbringen möglich bleibt. Wir können siegen oder besiegt werden, es kann uns etwas gelingen oder misslingen, wir können Schicksal und Glück haben, weil wir zur Selbstgestaltung gezwun­gen sind4. Darin, dass Menschen etwas gelingen und misslingen kann, so noch einmal Plessner, liegt auch ihre Würde begründet, insofern sie um Gelingen kämp­fen müssen. „Würde besitzt allein die gebrochene Stärke, die zwischen Macht und Ohnmacht gespannte Lebensform“5. Und im Hinblick auf Kleists Aufsatz „Über das Marionettentheater“ fügt Plessner hinzu, dass der Mensch – „zwischen Natur und Gott“ – weder „die ungehemmte Präzision der Marionette bzw. die Instinktsi­cherheit des Tieres“ besitze „noch die vollkommene Ursprünglichkeit unfehlbarer Verwirklichung.“6 Damit klärt sich das Doppelsinnige von Haltung und Bewegung, sinnfällig in der Aufforderung an einen Menschen: Sei Mensch! Es ist sinnlos, einem Tier zu sagen: Sei Tier! und zwar nicht nur, weil es das nicht verstünde, sondern weil es nicht in Sprache lebt, also eine andere Seinsquali­tät hat. Nur der in Sprache seiende Mensch ist in seiner Mitte und außer sich; das Lebewesen der Stufe Tier ist in sich, aber nicht sich gegen­über. Es hat sich nicht und weiß sich nicht. In Worten Plessners lautet es so: „Durch die Exzentrizität seiner Positionsform ist der Mensch ein Lebewe­sen, das Anforderungen an sich stellt. Er ist von Natur sittsam, ein sich im Modus der Anforderung selbst bändigender, domestizierender Organismus. Er kann ohne Sitte und Bindung an irreale Normen, die ihr eigenes Gewicht haben, um Anerkennung zu verlangen, ... nicht existieren“7. So gibt die Leibverfassung selber deutlich Auskunft darüber, warum in „aufrechter Haltung“ Moralität mitschwingt. Plessners Dialektikformel macht auch klar, warum es immer wieder zu Dualismen kommt, zu den Gegenüberstellungen, die eben besser als Dialektik aufgefasst werden: als die Momente eines Leibwesens, die in unaufhebbarer Spannung zueinander stehen. Dazu noch einmal Plessner: „Der Mensch lebt also nur, wenn er ein Leben führt. So bricht ihm immer wieder unter den Händen das Leben seiner eigenen Existenz in Natur und Geist, in Gebun­denheit und Freiheit, in Sein und Sollen auseinander. Dieser Gegensatz be­steht. Naturgesetz tritt gegen Sittengesetz, Pflicht kämpft mit Neigung, der Konflikt ist die Mitte seiner Existenz, wie sie sich stellt. Er muss tun, um zu sein. Aber die vis a tergo, die aus seinen Trieben und Bedürfnissen auf ihn einwirkt, reicht nicht aus, um den Menschen in der ganzen Fülle seiner Exi­stenz in Bewegung zu halten. Eine vis a fronte ist nötig, eine Macht im Mo­dus des Sollens erst entspricht der exzentrischen Struktur. Sie ist der spezifi­sche Appell an die Freiheit als das Stehen im Zentrum der Positionalität und das Movens für den geistigen Menschen, für das Glied einer Mitwelt.“8 4. Textauszüge zu Helmuth Plessner: Exzentrische Positionalität (Leib sein und Körper haben) 1. „Die Frage lautet: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die Dimension der Existenz von der des Lebens fundiert ist? [...] Die Lösung scheint mir der 1928 konzipierte Begriff der exzentrischen Positionalität zu bieten. a) Exzentrische Positionalität versucht die Sonderstellung des Menschen als eines Lebewesens zu fassen. Leben im Sinne von belebt sein besagt Eigenständigkeit im Verhältnis zu dem Milieu, dem der belebte Körper angehört. Ein unbelebter Körper erleidet zwar Einwirkungen des Milieus, reagiert aber nicht auf sie, indem er sich eigenständig zu ihm verhält. Diesen Positionscharakter des belebten Körpers besagt Positionalität. (S. 390) b) Dem zentrischen Typus der Positionalität gehören alle tierischen Organismen an. Ihre Austauschprozesse mit dem Milieu sind mittelpunktsbezogen, aber laufen ‑ im Unterschied zum pflanzlichen Organisationstypus ‑ über Zwischenschaltungen: Verdauung und Gedächtnis. In diesem Sinne hat die Pflanze kein Innen, wenn auch Reizbarkeit. Nur behält sie nichts und kann nichts assoziie­ren: Diese Möglichkeiten sind für freibewegliche Organismen, die auf Suchen und Finden angewiesen sind, unerläßlich, finden sich aber auch bei Tieren festsitzender Lebensweise wie etwa Aktinien oder Korallen. (S. 391) c) Die Bezeichnung »exzentrisch« wahrt den Zusammenhang mit der bei den Wirbeltieren in steigendem Maße zum Ausdruck kommen­den zentrischen Lebensform und unterstreicht die im zoologi­schen Rahmen verbleibende und ihn sprengende Doppelnatur des Menschen, die nicht statisch zu fassen ist, sondern eine ständig zu durchlebende und zu vollziehende Verschränkung des Leibes in den Körper bedeutet. (S. 396) d) Die Sprache unterscheidet nicht immer scharf zwischen beiden Worten, weil beide Größen ineinander verschränkt sind, und zwar positional. Die Verschränkung wird in den spezifisch menschli­chen Erscheinungen des Übermanntwerdens sichtbar. Hier lockert sich der innersomatische Zusammenhang zwischen Leib und Kör­per. Wir geraten außer uns: im Lachen und Weinen, im Affekt und in der Leidenschaft. Natürlich handelt es sich dabei um seelische und geistige Möglichkeiten, die nur einem Lebewesen offen stehen, das zu sich in Opposition treten, mit sich und anderen eins sein kann. (S. 397) e) Entscheidend bleibt: die innersomatische Trennung von Körper und Leib zu leben, und erfüllt damit den Heideggerschen Begriff des Daseins. Es existiert ‑... (S. 397) f) Ein Lebewesen exzentrischer Positionalität hat zu existieren, sein Leben in die Hand zu nehmen und unter Einsatz aller seiner Möglichkeiten die Mängel auszugleichen, welche sein Positionscharakter mit sich bringt: Schwächung der Instinkte, Objektivierung bis zur Verdinglichung. Entdeckung seiner selbst. Sie sind auf die Formel der vermittelten Unmittelbarkeit zu bringen. Ihre Manifestation ist kulturelle Produktivität, welche, wie sich an aller Geschichte ablesen lässt, der Sicherung von gesellschaftlichen Einrichtungen dient, deren Auflösung sie dadurch heraufbeschwört. Ortlos, zeitlos ins Nichts gestellt, treibt sich das menschenhafte Wesen beständig von sich fort, ohne Möglichkeit der Rückkehr, findet sich immer als ein anderes in den Fügungen seiner Geschichte, die es zu durchschauen, aber zu keinem Ende zu bringen vermag. (S. 398) 2. Mit dem Durchbruch zum Ich ist jedenfalls eine Positionsform etabliert, die ihrer eigenen Mitte ansichtig sein kann und muss und darum nicht mehr in sich ruht. Sie hat ihren Schwerpunkt außer sich, weshalb ich von exzentrischer Positionsform spreche. Die Monopolstellung des Menschen als animal rationale, als zoon logon echon ist darin eingeschlossen, weil Vernunft, Einsicht, Ver­sachlichung, Wortsprache nur dank des Außersichseins dieser Art Lebewesen möglich werden. (S. 323) 3. a) Prinzip der Aktionsrelativität der sinnlichen Rezeptoren hat in seiner Anwendung auf den Menschen von seiner für ihn spezifischen Aktionsweise auszugehen. Von außen gesehen wird sie durch seinen aufrechten Gang beherrscht, von innen durch sein instrumentales Ver­hältnis zum eigenen Körper, das selbst wieder auf die Fähigkeit der Vergegenständlichung zurückweist. Sie wird in der Verschränkung von Leib und Körper manifest, jenem fatalen Privileg des Menschen, das ihm auf Schritt und Tritt ein Bein stellt und zu den unwahrscheinlich­sten Eskapaden mit dem eigenen Körper befähigt. Es handelt sich bei der Verschränkung von Körper und Leib gewiss um Aspekte derselben »Sache«, die aber ein aktives Verhalten besonderer Art erzwingen: Ausgleich im Wege willkürlicher Beherrschung. Schon um auf seinen zwei Beinen stehen und gehen zu können, muss das Menschenkind In­itiative entfalten. Erst spät und im Verkehr mit den anderen wird ihm das Zentrum seiner Initiative zu dem werden, was Ich heißt und schon präreflexiv und vor aller ausdrücklichen Zurechenbarkeit Willkür aus­macht. Der Zwang zum Ausgleich seines körper‑leiblichen Doppel­aspekts ist die Wiege des Handelns, dem sich der Mensch in seiner Mo­torik nicht entziehen kann, wenn er sein möglichstes, das menschen­mögliche versucht. (S. 245) b) ist kein Zufall, dass wir für die Aktion des Schauspielers das Wort Verkörperung haben, denn er, zeigt sie uns. Die Verschränkung von Leib in Körper, von Körper-Sein und Körper-Haben, mit der wir Menschen fertig werden müssen, wenn uns das Leben hier und jetzt gelingen soll, mit der wir ständig befasst sind, die uns festhält, führt uns der Schauspieler vor. Der ganze Mensch wird zur Figur. Sein Rollenspiel, zu dem ihn die Gesellschaft zwingt, wird, auf Augenmaß gebracht, zu einem Beispiel. (S. 249) 4. a) Der Mensch als das lebendige Ding, das in die Mitte seiner Existenz gestellt ist, weiß diese Mitte, erlebt sie und ist darum über sie hinaus. Er erlebt die Bindung im absoluten Hier-Jetzt, die Total­konvergenz des Umfeldes und des eigenen Leibes gegen das Zen­trum seiner Position und ist darum nicht mehr von ihr gebunden. Er erlebt das unmittelbare Anheben seiner Aktionen, die Impulsi­vität seiner Regungen und Bewegungen, das radikale Urhebertum seines lebendigen Daseins, das Stehen zwischen Aktion und Ak­tion, die Wahl ebenso wie die Hingerissenheit in Affekt und Trieb, er weiß sich frei und trotz dieser Freiheit in eine Existenz gebannt, die ihn hemmt und mit der er kämpfen muss. Ist das Leben des Tieres zentrisch, so ist das Leben des Menschen, ohne die Zentrie­rung durchbrechen zu können, zugleich aus ihr heraus, exzen­trisch. Exzentrizität ist die für den Menschen charakteristische Form seiner frontalen Gestelltheit gegen das Umfeld. b) Als Ich, das die volle Rückwendung des lebendigen Systems zu sich ermöglicht, steht der Mensch nicht mehr im Hier-Jetzt, son­dern »hinter« ihm, hinter sich selbst, ortlos, im Nichts, geht er im Nichts auf, im raumzeithaften Nirgendwo‑Nirgendwann. Ortlos-zeitlos ermöglicht er das Erlebnis seiner selbst und zugleich das Erlebnis seiner Ort- und Zeitlosigkeit als des außerhalb seiner selbst Stehens, weil der Mensch ein lebendiges Ding ist, das nicht mehr nur in sich selber steht, sondern dessen »Stehen in sich« Fundament seines Stehens bedeutet. Er ist in seine Grenze gesetzt und deshalb über sie hinaus, die ihn, das lebendige Ding, begrenzt. Er lebt und erlebt nicht nur, sondern er erlebt sein Erleben. Dass er sich aber als Etwas erlebt, das nicht mehr erlebt werden kann, nicht mehr in Gegenstandsstellung tritt, als reines Ich (im Unter­schied zu dem mit dem erlebbaren »Mich« identischen psycho-physischen Individual-Ich), hat einzig und allein in der besonderen Grenzgesetztheit des Mensch genannten Dinges seinen Grund, schärfer gesagt: bringt sie unmittelbar zum Ausdruck. c) Als Ich dagegen, das sich in voller Rückwendung erfasst, sich fühlt, seiner inne wird, seinem Wollen, Denken, Treiben, Empfinden zusieht (und auch seinem Zusehen zusieht), bleibt der Mensch im (S. 364) Hier-Jetzt gebunden, im Zentrum totaler Konvergenz des Umfel­des und des eigenen Leibes. So lebt er unmittelbar, ungebrochen im Vollzug dessen, was er kraft seiner unobjektivierten Ichnatur als seelisches Leben im Innenfeld fasst. d) Ihm ist der Umschlag vom Sein innerhalb des eigenen Leibes zum Sein außerhalb des Leibes ein unaufhebbarer Doppelaspekt der Existenz, ein wirklicher Bruch seiner Natur. Er lebt diesseits und jenseits des Bruches, als Seele und als Körper und als die psycho-physisch neutrale Einheit dieser Sphären. Die Einheit überdeckt jedoch nicht den Doppelaspekt, sie lässt ihn nicht aus sich hervor­gehen, sie ist nicht das den Gegensatz versöhnende Dritte, das in die entgegengesetzten Sphären überleitet, sie bildet keine selbstän­dige Sphäre. Sie ist der Bruch, der Hiatus, das leere Hindurch der Vermittlung, die für den Lebendigen selber dem absoluten Dop­pelcharakter und Doppelaspekt von Körperleib und Seele gleich­kommt, in der er ihn erlebt. e) Positional liegt ein Dreifaches vor: das Lebendige ist Körper, im Körper (als Innenleben oder Seele) und außer dem Körper als Blickpunkt, von dem aus es beides ist. Ein Individuum, welches positional derart dreifach charakterisiert ist, heißt Person. Es ist das Subjekt seines Erlebens, seiner Wahrnehmungen und seiner Aktionen, seiner Initiative. Es weiß und es will. Seine Existenz ist wahrhaft auf Nichts gestellt. (S. 365) Quellennachweise: 1. H. Plessner, Der Aussagewert einer Philosophischen Anthropologie (1973). In: Ges. Schriften Vlll, hg. v. G. Dux, O. Marquard, E. Ströker, Frankfurt am Main 1983. 2. H. Plessner, Der Mensch als Lebewesen. Adolf Portmann zum 70. Geburtstag (1967). In: Ges. Schriften wie 1. 3. H. Plessner, Anthropologie der Sinne. In: Ders., Philosophische Anthropologie: Lachen und Weinen. Das Lächeln. Anthropologie der Sinne. Hg. u. m. e. Nachwort v. G. Dux, Frankfurt am Main 1970. 4. H. Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie (1928, z. erw. A. 1965, 3. A. 1975). Hier aus Ges. Schriften IV, Frankfurt am Main 1981. Literatur zu Hellmuth Plessner Plessner, Helmuth: Anthropologie der Sinne. In: Ges. Schriften III, hrsg. v. G. Dux. O. Marquard u. E. Ströker, Frankfurt am Main 1980 Plessner, Helmuth: Gesammelte Schriften, 10 Bände, Frankfurt am Main, 1985 Fischer, Joachim: Exzentrische Positionalität. Plessners Grundkategorie der Philosophischen Anthropologie. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 48 (2000) 2, S. 265 - 288 Habermas, Jürgen: Aus einem Brief an Helmuth Plessner. In: Ders., Kultur und Kritik, Verstreute Aufsätze, Frankfurt am Main 1973. Merkur 1972, S. 944 - 946 Habermas, Jürgen: Philosophische Anthropologie (1958), Fischer Lexikon Philosophie, Frankfurt 1958, S. 18ff. Haucke, Kai: Plessner zur Einführung, Hamburg 2000 Lessing, Hans-U.: "Hermeneutik der Sinne." Eine Untersuchung zu Plessners Projekt einer "Ästhesiologie des Geistes" nebst einem Plessner-Ineditum, Freiburg 1998 Schüßler, Kersten: Helmuth Plessner. Eine intellektuelle Biographie. Wien und Berlin 2000 Westermann, Bernd/ Friedrich, Jürgen, Hg.: Unter offenem Horizont. Anthropologie nach Helmuth Plessner, Frankfurt am Main 1995 5. Auszug aus: Jens Soentgen, Die verdeckte Wirklichkeit. Einführung in die neue Phänomenologie von Hermann Schmitz, Bonn 1998, S. 36 – 39. Leibliche Kommunikation Es ist bekannt, dass Schmerz geringer wird, wenn vertraute Menschen den Leidenden unterstützen. Schon der Freiherr von Knigge leitete den diesbezügli­chen Abschnitt in seinem Klassiker „Über den Umgang mit Menschen“ mit den Worten ein: „Wer je empfunden hat, welch ein Labsal bei Krankheiten und Schmerzen eine gute, sorgsame, stille und teilnehmende Pflege gewährt, der wird den Gegenstand nicht unwichtig finden.“9 Obwohl Schmitz auf diese Form der Schmerzminderung nicht eingeht, lässt sie sich doch mit seinem Kon­zept gut verstehen. Die Gegenwart von anderen schafft mir, wenn ich Schmer­zen habe, eine Möglichkeit, von mir wegzukommen: Der andere kann wie ein Magnet wirken, der die eingefahrene leibliche Situation des Schmerzes auflockert und für eine Weile entspannt. Wenn der andere faszinierende Dinge er­zählt, vergesse ich den Schmerz nicht nur, sondern dieser kann sich tatsächlich für eine Weile auflösen. Der andere kann mein Asyl sein, mein Ausweg aus dem Schmerz. Er berührt mich und bringt damit das starre Ineinander des Schmerzes in Bewegung. Er fasst meine Hand und löst damit die Einsamkeit des Schmerzes. Schmitz bezeichnet solche Phänomene als leibliche Kommunikation. Gewiss er­schöpft sich die Gegenwart einer Person am Krankenbett nicht nur in Gesten, in Blicken und Streicheleinheiten. Es finden auch Gespräche statt. Doch selbst Ge­spräche sind nicht nur Informationsaustausch, sie haben immer auch eine leibli­che Dimension. Das ist der Kommunikationsforschung nicht verborgen geblie­ben. Doch sie bezeichnet das Feld der Phänomene, um die es sich hier handelt, als „nonverbale Kommunikation“. Dies ist jedoch nur eine Negation, die keine näheren Aufschlüsse bietet. Es steht außer Frage, dass die Gegenwart eines anderen Menschen einen Ef­fekt auf das leibliche Befinden ausübt. Man kennt das Mitzittern, man weiß, dass Lachen ansteckend ist. Menschen, die lange zusammenleben, machen bis­weilen den Eindruck, als seien sie leiblich zusammengewachsen: Sie atmen im Gleichtakt und wenn sie gemeinsam ausgehen, wirken sie wie ein Körper auf vier Beinen. Wie funktioniert das? Gehen etwa vom anderen Wellen aus; Schwingungen, die man bisher nicht messen konnte? Oder sind es feine, unter­schwellige Geruchsreize? Schmitz lässt sich als Phänomenologe nicht auf solche Hypothesen über Ursa­chen ein. Er versucht vielmehr zu beschreiben, was vor sich geht, wenn zwei Leiber miteinander Kontakt aufnehmen. Welche Formen des Kontaktes gibt es? Über welche Kanäle läuft die Kontaktaufnahme? Schmitz unterscheidet zwei Anschlüsse, über die leibliche Kommunikation in Gang kommen kann, nämlich Blick und Stimme. Der Blick, den man von anderen empfängt, hat oft eine einschneidende Wir­kung auf das leibliche Befinden, obgleich körperlich Distanz gewahrt wird. Dieses Phänomen wird schon in den ganz gewöhnlichen alltagssprachlichen Be­schreibungen von Blicken sichtbar, die oft nur so wimmeln von dynamischen Wörtern. Blicke können überwältigen, eindringen, bannen, fesseln, bestricken, zum Schweigen bringen, fast umbringen; mit anderen Worten, sie scheinen mindestens ebensoviel zu können wie eine schwerbewaffnete Armee. Und doch sind die Augen, von denen der Blick ausgeht, vergleichsweise winzig, auch ihre Bewegungen sind minimal, nur in Comics können sie zu Stielen auswachsen, sie bestehen aus einer feuchten, völlig ungiftigen Masse. Die Augen sind eines der harmlosesten Organe unseres Körpers, nur für ganz kleine Insekten können sie zur Falle werden. Doch der Blick, den sie erzeugen, der zumindest ohne sie nicht zustandekommt, dieser Blick ist vollgetankt mit einer Dynamik, die die beachtlichsten Wirkungen erzielen kann. Man hört von Blicken, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, von entwaffnenden Blicken. Vom Aber­glauben an den „bösen Blick“ ganz zu schweigen. In jedem Fall ist der Blick eine beachtliche Energie; nicht umsonst hat das Wort dieselbe Wurzel wie das Wort „Blitz“. Am Blick des anderen kann ich nicht nur spüren, wie ihm zumute ist, ob er erschlagen und müde oder munter und frisch ist; ich kann auch tiefgreifende Auseinandersetzungen mit dem anderen führen, einzig und allein über Blicke. Mit Blicken kann man kämpfen. Schmitz schreibt: „Der [...] Blick ist hiernach eine heimsuchende Macht, die zwar nicht über Le­ben und Tod, aber über Selbständigkeit oder Knechtschaft und darüber hinaus über das, was der Erblickte [...] ist [...1 entscheidet. Daher gehört zu den am Tiefsten eingreifenden Auseinandersetzungen unter Menschen und Tieren der Kampf ihrer Blicke, wodurch sie einander widerstehen oder sich hingeben, in­dem Einer den anderen sich anzueignen sucht.“10 Dieser Kampf der Blicke ist nicht nur aus sozialen Situationen bekannt, in de­nen es um Rangordnungen geht. Man kennt ihn auch aus den Situationen der Dressur, etwa zwischen Mensch und Hund. Blicke müssen nicht immer kämp­fen, sie können auch ineinandertauchen. Oft stiftet der Blick erst das, was man Kontakt nennt, jenes direkte Eingestimmtsein aufeinander, ohne das jede Kom­munikation unbefriedigend bleibt. Abgesehen vom Blick gibt es weitere Kanäle der leiblichen Kommunikation, Schmitz nennt noch den Händedruck und die Stimme11. Sicherlich ist auch an den Atem zu denken, jenen leiblichen Prozess, der schließlich die Stimme trägt. Man nimmt wahr, wie der andere atmet, ob flach oder tief, und unruhiger Atem ist ansteckend: Im Theaterjargon spricht man vom Mitatmen der Zuschauer. Über solche Kanäle oder Anschluss-Stellen kommt das zustande, was Schmitz leibliche Kommunikation oder auch Einleibung nennt. Einleibung mag wie ein etwas merkwürdiger Neologismus wirken. Das Wort ist jedenfalls zu unterscheiden von der Einverleibung, bei der es nur darum geht, etwas in den eige­nen Körper zu bringen. Einleibung bedeutet, dass Gegenstände, die nicht zum eigenen Leib gehören, in sein Befinden eingreifen. Es kommt zur Bildung eines übergreifenden Quasi-Leibes.12 Solche übergreifenden Leiber brauchen nicht auf zwei Personen beschränkt zu sein, Einleibung ist auch und gerade bei Massenzusammenkünften auffällig. Aus vielen tausend Menschen kann sich ein einheitlicher Massenleib bilden. Doch dazu reicht natürlich in der Regel nicht die bloße Anwesenheit vieler Menschen. In einer Fußgängerzone laufen viele Menschen nebeneinander her, aneinander vorbei oder stolpern übereinander ‑ von einem gleichgeschalteten leiblichen Befinden kann hier keine Rede sein. Einleibung kann auf politischen Massenveranstaltungen oder auch im Fußballstadion beobachtet werden. Sie wird herbeigeführt durch gemeinsames Singen, Klatschen, Rufen, das heißt durch den Aufbau eines gemeinsamen Rhythmus'. Sie kann auch in eine ge­meinsame leibliche Richtung verlegt werden: Die Masse bewegt sich dann auf ein Ziel zu. Eine weitere Möglichkeit, einen gemeinsamen Leib zu bilden, liegt darin, eine gemeinsame Enge herzustellen, um die sich die Masse zusammen­zieht. Diese Enge kann durch einen Redner präsentiert werden. Sind solche Bedingungen gegeben, kommt es zu Einleibung: Tausende bewe­gen sich dann wie ein Mann. Elias Canetti hat diesen Vorgang in seiner Phäno­menologie der Masse eindrucksvoll beschrieben. Für ihn kommt es in der Mas­se zu einer Aufhebung der Berührungsfurcht, die sonst dazu führt, dass sich die Menschen aus dem Weg gehen: „Es ist die dichte Masse, die man dazu braucht, in der Körper an Körper drängt [...1 Keine Verschiedenheit zählt, nicht einmal die der Geschlechter. Wer im­mer einen bedrängt, ist das gleiche wie man selbst. Man spürt ihn, wie man sich selber spürt. Es geht dann alles plötzlich wie innerhalb eines Körpers vor sich.“13 6. Auszug aus: Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt am Main 1986 Theatrum mundi. 1) Die Rollentheorie hat im abendländischen Denken eine lange (von den Soziologen allerdings nicht wahrgenommene) Geschichte. Eine der ältesten Vorstellungen von Gesellschaft ist die von der Gesellschaft als einem Theater, die Idee des theatrum mundi. In seiner Schrift Der Staat erscheint Plato das Leben der Menschen als ein von Göttern aufgeführtes Puppenspiel. Dass die Gesellschaft ein Theater sei, war auch das Motto von Petronius' Satyricon. In christlicher Zeit hatte das Welttheater häufig einen einzigen Zuschauer, nämlich Gott, der vom Himmel herab voller Wehmut den Possen und Maskeraden seiner Kinder drunten zusieht. Als die Menschen des18. Jahrhunderts die Welt als Theater bezeichneten, hatten sie wieder ein anderes Publikum für ihre Auftritte im Sinn ‑ jeder war des anderen Zuschauer, und an die Stelle der göttlichen Wehmut trat der Wunsch, die Schauspielerei und die Verstellung des Alltagslebens, wenngleich mit einem gewissen Zynismus, zu genießen. In neuerer Zeit fand diese Identifikation von Theater und Gesellschaft ihre Fortsetzung in Balzacs Comédie humaine, bei Baudelaire, Thomas Mann und, merkwürdigerweise, auch bei Freud. Das Bild von der Gesellschaft als einem Theater besitzt also nicht nur eine Bedeutung, die sich unverändert über viele Zwischenstufen und durch lange Zeiträume erhalten hätte. Aber stets hat es drei ganz bestimmten moralischen Absichten gedient. Die erste bestand darin, Illusion und Täuschung als Grundprobleme des gesellschaftlichen Lebens einzuführen. Die zweite bestand darin, das »innere Wesen« des Menschen von seinem sozialen Handeln abzutrennen. Der Mensch weckt als Schauspieler Glauben (belief); ohne die Bedingungen und den Augenblick der Darstellung würde dieser Glauben nicht zustande kommen; daher sind Glauben und Illusion in dieser Gesell­schaftsvorstellung eng miteinander verwoben. Zugleich kann man aus keiner der Einzelrollen, die er spielt, auf das »Wesen« des Schauspie­lers schließen, denn in jedem neuen Stück und in jeder neuen Szene kann er in völlig anderer Verkleidung auftreten. Wie also soll man von den Handlungen eines Menschen im Theater der Gesellschaft auf sein Wesen schließen können? Die dritte und wichtigste Absicht bestand darin, mit dem Gleichnis des theatrum mundi ein Bild jener Kunst zu entwerfen, die die Menschen in ihrem täglichen Leben üben, nämlich der Schauspiel­kunst, und Menschen, die sie betreiben, spielen eben »Rollen«. Für einen Schriftsteller wie Balzac sind diese Rollen die verschiedenen Masken, die die einzelnen zur Bewältigung verschiedener Situationen benötigen ‑ für ihn und seinesgleichen sind die Menschen >Maskenwesen< und ihr Treiben ist eine Comédie. (S. 55f.) In einer urbanen Gesellschaft, die sich angesichts des Schauspielers und des Fremden einem gemeinsamen Publikumsproblem gegenüber­sieht, in einer Gesellschaft, die dieses Problem mit einem gemeinsa­men Glaubhaftigkeitskode löst und dabei Sinn für einen bedeutungs­vollen öffentlichen Raum innerhalb der Gesellschaft entwickelt, liegt es nahe, menschlichen Ausdruck anhand von Gesten und Symbolen zu begreifen, die aus sich heraus wirklich sind ‑ gleichgültig, wer die Geste macht oder das Symbol verwendet. Emotionen werden also dargestellt (presented). Wenn sich ein Wandel in den ersten drei Strukturen vollzieht, dann kommt es auch zu einer Veränderung der Ausdrucksstruktur. Die Überzeugungskraft dessen, was gesagt wird, hängt zunehmend davon ab, wer es sagt; beim Sprecher überwiegt das Bestreben, die eigenen Emotionen anderen gegenüber als Teil der Person, als Selbstausdruck zu verkörpern (represent). Diese vierte Struktur umfasst die Wechselbeziehungen zwischen einem ausgepräg­ten öffentlichen Leben und dem, was in der Psychologie als Objekti­vität der Ausdruckssignale bezeichnet wird; wenn die Öffentlichkeit zerfällt, werden diese Signale subjektiver. (S. 64) In dem Maße, wie sich die Umrisse der öffentlichen Sphäre verwischten, wurde menschlicher Ausdruck von der Gesellschaft immer weniger als Darstellung und immer mehr als Verkörperung verstanden. Die klassische Vorstellung vom theatrum mundi ging von der Gleich­setzung von Gesellschaft und Theater, von Alltagshandeln und Bühnenhandeln aus. Sie fasste das gesellschaftliche Leben in ästhetischen Kategorien und verstand alle Menschen als Künstler, weil alle Men­schen imstande waren zu agieren. Allerdings ist diese Vorstellung ahistorisch. Die Geschichte der öffentlichen Kultur im 19. Jahrhun­dert zeigt uns Menschen, die ihren Glauben an die eigenen expressiven Fähigkeiten immer mehr verloren und die den Künstler gerade des­halb zu einem besonderen Wesen erhoben, weil er etwas zu leisten vermochte, was ihnen im Alltag immer weniger gelang: die eigenen Empfindungen in der Öffentlichkeit deutlich und ungehemmt zum Ausdruck zu bringen. Das klassische Ideal des theatrum mundi stellt den Versuch einer solchen Vereinigung von Ästhetik und gesellschaftlicher Realität dar. Die Gesellschaft ist ein Theater, und alle Menschen sind Schauspieler. Als Idealbild ist diese Vorstellung keineswegs tot. In seinem Buch The Theatre in Life von 1927 bekräftigt etwa Nicolas Evreinoff das Bild vom theatrum mundi mit den folgenden Worten: »(...) welchem Bereich menschlichen Handelns man sich auch zuwendet, immer wird man finden, dass Könige, Staatsmänner, Politiker, Kriegsmänner, Bankiers, Geschäftsleute, Priester, Ärzte sämtlich dem Theater ihren täglichen Tribut zollen, sie alle halten sich an die auf der Bühne herrschenden Prinzipien.« Und in ihrem Buch The Drama of Social Reality von 1975 beginnen Stanford Lyman und Marvin Scott eine Untersuchung zur modernen Politik folgendermaßen: »Alles Leben ist Theater; so trägt auch das politische Leben Züge des Theaters. Und die Vorherrschaft des Theaters könnte man als >Theatrokratie< bezeichnen.« Problematisch ist allerdings, dass dieses Ideal des theatrum mundi außerhalb der Zeit steht. Um die Mitte des 18.Jahrhunderts existierte ein gesellschaftliches Leben, in dem die Ästhetik des Theaters tatsäch­lich mit dem Alltagsverhalten verflochten war. Aber diese ästhetische Dimension des Alltags ist vergangen. An ihre Stelle trat eine Gesell­schaft, in der die Kunst als »Disziplin« Ausdrucksleistungen hervor­brachte, die im täglichen Leben nur schwer oder gar nicht hervorzu­bringen waren. Das Bild vom theatrum mundi deutet auf ein Aus­druckspotential in der Gesellschaft hin; der Verfall des öffentlichen Lebens zeigt, was aus diesem Potential geworden ist. In der modernen Gesellschaft sind die Menschen zu Schauspielern ohne Kunst gewor­den. Abstrakt lassen sich die Gesellschaft und die gesellschaftlichen Beziehungen zwar immer noch mit Metaphern aus der Theaterwelt beschreiben; aber die Menschen haben aufgehört, selbst etwas darzu­stellen. Die Wandlungen, die das Ausdruckspotential des Menschen durch­laufen hat, gehen auf Veränderungen seiner öffentlichen Identität zurück. Ausdruck in der öffentlichen Welt war die Darstellung von Gefühlszuständen und ‑abstufungen, die aus sich heraus, unabhängig von der Person des Darstellers, Bedeutung besaßen. Bei der Verkörpe­rung von Gefühlszuständen in der intimen Gesellschaft wird die Substanz der Emotion abhängig von der Person dessen, der empfindet. (S. 394f.) Dieser Schauspieler, dem seine Schauspielkunst abhanden gekommen ist, tritt in Erscheinung, wenn es in einer Gesellschaft nicht mehr möglich ist, Theater und Gesellschaft als »unterschiedslos« miteinan­der verwoben zu denken, um an Fieldings Formulierung anzuknüp­fen. Er tritt in Erscheinung, wenn die lebenslange Formung der menschlichen Natur durch Erfahrungen mit und in der Welt durch die fortwährende Suche nach dem eigenen Selbst ersetzt wird. Über der Weiträumigkeit der hier angedeuteten historischen Entwick­lungslinien dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass sich in jedem Menschenleben der Verlust der schauspielerischen Fähigkeit im klei­nen noch einmal vollzieht. Dieses in der Kindheit entwickelte Vermö­gen wird von der Erwachsenenkultur wieder ausgelöscht. Der Heran­wachsende verliert dieses Potential aus seiner Kindheit in dem Maße, wie er in die Ängste und Anschauungen, die die Erwachsenenkultur dominieren, eingeführt wird. Das Problem des Spiels und die Frage, was im Erwachsenendasein aus ihm wird, sind deshalb so wichtig, weil die kulturelle Entwicklung in neuerer Zeit eine merkwürdige Wendung genommen hat. Es ist an sich ungewöhnlich, dass eine Gesellschaft dem Ritual oder der ritualisierten Geste misstraut; es ist ungewöhnlich, dass sie geformtes Verhalten als inauthentisch beargwöhnt. In vielen Gesellschaften werden die Kräfte des kindlichen Spiels im Erwachsenenalter noch bereichert und ins Ritual, zumeist ins religiöse Ritual, hinein verlängert. Die säkulare, kapitalistische Gesellschaft jedoch bedient sich dieser Kräfte nicht, sie wirkt ihnen entgegen. (S. 395f.) Schulpraktische Folgerungen A. Lehrer und Lehrerinnen, die etwas von Kommunikationsregeln und Ausstrahlung wissen, werden sich stärker selbst beobachten und kontrollieren wollen, sich möglichst von Kollegen/Kolleginnen beobachten lassen, austauschen und an sich arbeiten. Wozu machen sie sich dann fähig? Anderen etwas vorzumachen und möglichst eindrucksvoll zu wirken? Ich versuche eine positive Antwort: Sie arbeiten an sich zur besseren Ausübung ihres Berufs und um den Schülern und Schülerinnen gerecht zu werden. Ist das miteinander vereinbar oder muss man sich sagen lassen: Du liebst uns nicht wirklich, du willst nur besser wirken und über die Runden (=die Stunden) kommen.? Ich bin der Auffassung, dass LehrerInnen auch aus diesem Dilemma nicht herauskommen. Lehrersein ist eine professionelle Tätigkeit in einem Betrieb mit bestimmten gesellschaftlichen Funktionen, mit denen Lehrer und Lehrerin durchaus nicht vollständig einverstanden sein müssen (Dienstleistung). Dennoch kann eine/r auch unter diesem Befund LehrerIn sein. Beispiel: Gibt es eine notwendige Verstellung? Auf dem Weg zur Schule müssen LehrerInnen sich langsam von ihren häuslichen Problemen lösen und sich auf ihre Berufsrolle einstellen. Alle Bezugsgruppen erwarten das. Und in der Regel gelingt es den meisten vom morgendlichen Gruß in der Schule an, sich auf ein Schul- und Unterrichtsverhältnis einzustellen. Kann man dennoch Mensch bleiben und ein menschliches Ohr für die SchülerInnen haben? In dem Maße, in dem LehrerInnen diese Doppelaufgabe erfüllen, sind sie authentisch, überzeugend und wirkungsvoll. SchülerInnen können über diese Situation durchaus aufgeklärt sein, je nach Alter unterschiedlich. Auch sie wissen, dass sie als SchülerInnen eine Rolle einnehmen und spielen und so etwas wie eine Profession ausüben; je nach Alter wissen sie das unterschiedlich; aber sie wissen auch, dass sie sich untereinander und gegenüber den LehrerInnen als Menschen begegnen wollen und sollen. Offenheit ist ein notwendiger und notwendig ein Balanceakt. Schulz von Thun stellt für diesen Zusammenhang eine "psychologische Tugendlehre" auf und übernimmt zu diesem Zweck von P. Helwig (1967) das sog. Wertequadrat. Er unterscheidet zwei Kardinalfragen: die nach Wahrhaftigkeit, Authentizität und Echtheit und die nach Wirkungskalkül, Takt/Taktik und Diplomatie. Im ersten Bereich geht es um die Übereinstimmung von "Innerung" und "Äußerung" im zweiten um die Wirkung auf den Empfänger, etwas zu erreichen. B. Aus dem, was zum Aspekt B: Haltung und Bewegung als Disziplinierung gesagt wurde, können LehrerInnen zu berücksichtigen lernen, dass bereits das Schulgebäude, seine Architektur, die Einrichtung, auch der Pausenhof und die anzutreffenden Aufsichtspersonen eine bestimmte Wirkung auf die SchülerInnen haben: alle genannten Momente signalisieren Schulordnung, Einordnung, Disziplinierung. Nur zu einem Teil oder gar nicht bewusst entsteht noch vor Unterrichtsbeginn bei den SchülerInnen ein Gefühl und eine Gestimmtheit, dass sie auf der anderen Seite stehen, gegenüber den Disziplinierenden. Schülerorientierte LehrerInnen werden sich in einem Dilemma vorfinden: Sie sind Vertreter der Ordnung und müssen sie aufrecht erhalten; als Pädagogen wollen sie das Beste der SchülerInnen, ihre Mündigkeit und ihr Glück. Dieses Dilemma werden schülerorientierte LehrerInnen bewusst aushalten müssen; sie werden sich aber zugunsten der SchülerInnen kontrollieren: Wo sind unnütze oder übertriebene Disziplinierungen, wo werden sie zum Selbstzweck? Wo kann mehr Freiheit und Selbstbestimmung gewährt werden? Auf welche Weise kann ich auf welcher Altersstufe den SchülerInnen die Situation des Dilemmas klarmachen? Aus dieser Haltung könnte professionelles Schüler-Lehrer-Verhältnis entstehen, das dennoch human genannt werden kann, weil Macht und Disziplinierung kontrolliert werden und transparent sind, also nicht als bloßes Unbehagen erlitten werden. C. Haltung und Bewegung als Kommunikation kann LehrerInnen bedeutsamen Aufschluss geben. Was Kommunikationstheorie und Phänomenologie (Teil D) hervorbrachten, hat zum Ergebnis: LehrerInnen wie SchülerInnen teilen sich ständig wechselseitig mit, und zwar auch zusätzlich zu den Unterrichtsinhalten, die zur Behandlung oder Verhandlung stehen. Die Äußerungen laufen nicht schlicht parallel zueinander, sondern die eine interpretiert die andere, und sie laufen - besonders im Hinblick auf A - auch gegeneinander, stören sich und können einander widersprechen. Alles gilt für LehrerInnen und SchülerInnen je untereinander, miteinander oder gegeneinander. LehrerInnen und SchülerInnen müssen also im Blick auf A und B davon ausgehen, dass sie sich innerhalb ihres Arbeitsfeldes prinzipiell auf konfliktärem Gelände befinden. Die Kommunikati­onsregeln können nicht erst im aufbrechenden oder auffällig werdenden Konflikt zu Analysehil­fen werden, sondern auch schon vorher: LehrerInnen können sich durch wechselseitige Beob­achtung ihres Unterrichts auf bestimmte Ausdrucks- Verhaltens- und Mitteilungsweisen auf­merksam machen, die ihnen sonst selber unbekannt blieben. Auf die Möglichkeiten zur Metakommunikation sei aufmerksam gemacht.14 Metakommunikation ist bei einer sich bietenden Gelegenheit möglich, zu einem Sondertermin, außerhalb der Schule, in einer Gesprächsrunde während der Klassenfahrt. C. Unter dem Aspekt Haltung und Bewegung als Zuwendung sollte deutlich geworden sein: Die Sozialformen sind nicht einfach Techniken des Unterrichts und dürfen deswegen nicht so behandelt oder eingesetzt werden. LehrerInnen haben es nicht mit Objekten zu tun, die technisch handhabbar wären, sondern mit Subjekten. In den institutionell gegebenen oder eingesetzten Sozialformen wenden die Subjekte sich jeweils anders einander und dem Unterrichtsgegenstand zu. Das heißt auch, dass den einzelnen die anderen und der Unterrichtsinhalt je anders vorkommen; die unterschiedliche Sozialform verändert also auch die Wahrnehmung. Ob jemand als Konkurrent, Gegner, Nachbar oder Mitmensch erscheint, ist je nach Unterrichtsform stärker oder schwächer im Vordergrund. Und ob Unterrichtsinhalt ein Stoff ist, mit dem SchülerInnen sich geärgert fühlen, sie sich ihre Noten einhandeln, oder ob er ein interessanter, gar spannender Gegenstand der Auseinandersetzung ist, hängt auch davon ab, in welcher Unterrichtsform die SchülerInnen sich mit dem Gegenstand beschäftigen, und wie er ihnen dargeboten wird. – Die sich durchsetzende Instrumentalisierung der Stoffe (für Noten, Zeugnis, Berechtigungswesen) kann gelegentlich ausgesetzt werden.