Erkenntnis der Erkenntnis verpflichtet M 19: Humberto F. Maturanaº „Als Adam und Eva die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse aßen, so sagt die Bibel, wurden sie in andere Wesen verwandelt, die nie mehr zu ihrer ursprünglichen Unschuld zurückkehren sollten. Vor dem ”Sündenfall” kam ihre Erkenntnis der Welt in ihrer Nacktheit zum Ausdruck. In ihrer Nacktheit bewegten sie sich in der Unschuld des bloßen Kennens. Nach dem ”Sündenfall” wussten sie, dass sie nackt waren; sie wussten, dass sie wussten, sie erkannten, dass sie kannten. In diesem Buch [”Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens”] sind wir zum Baum der Erkenntnis zurückgekehrt. Wir haben den Leser eingeladen, von der Frucht dieses Baumes zu essen, indem wir ihm eine wissenschaftliche Untersuchung der Erkenntnis als biologisches Phänomen vorgelegt haben. Und wenn wir der Argumentation dieses Buches gefolgt sind und seine Konsequenzen verinnerlicht haben, stellen wir auch fest, dass diese unentrinnbar sind. Die Erkenntnis der Erkenntnis verpflichtet. Deshalb impliziert alles, was wir in diesem Buch gesagt haben, eine Ethik. Wenn wir wissen, dass unsere Welt notwendig eine Welt ist, die wir zusammen mit anderen hervorbringen, dann können wir im Falle eines Konflikts mit einem anderen menschlichen Wesen, mit dem wir weiterhin koexistieren wollen, nicht auf dem beharren, was für uns gewiss ist (auf einer absoluten Wahrheit), weil das die andere Person negieren würde. Wollen wir mit der anderen Person koexistieren, müssen wir sehen, dass ihre Gewissheit – so wenig wünschenswert sie uns auch erscheinen mag – genauso legitim und gültig ist wie unsere. Wie unsere Gewissheit ist auch die Gewissheit des anderen Ausdruck seiner Bewahrung der Strukturkoppelung* in einem Existenzbereich – so wenig verlockend uns dieser Bereich auch erscheinen mag. Die einzige Chance für die Koexistenz ist also die Suche nach einer umfassenderen Perspektive, einem Existenzbereich, in dem beide Parteien in der Hervorbringung einer gemeinsamen Welt zusammenfinden. Dies ist die biologische Grundlage sozialer Phänomene: Ohne Liebe, ohne dass wir andere annehmen und neben uns leben lassen, gibt es keinen sozialen Prozess, keine Sozialisation und damit keine Menschlichkeit. Machen wir uns nichts vor: Wir halten keine Moralpredigt, wir predigen nicht die Liebe. Wir machen einzig und allein die Tatsache offenkundig, dass es, biologisch gesehen, ohne Liebe, ohne Annahme anderer, keinen sozialen Prozess gibt“. * Lebewesen regulieren sich selbst (Autopoiese) in ständiger Ankoppelung an Milieu und Partner (Strukturkoppelung). Sie können immer nur aus dem Repertoire ihrer bis dato erreichten Struktur agieren. Im Austausch verändern sie wechselseitig ihre Struktur. a) Für welches Stadium der Evolution steht in M 20 der ”Sündenfall"? b) Hat Sie der Text an die Ausführungen zu homo sapiens sapiens erinnert? Blättern Sie zurück. c) Wie gelangt Maturana von der Biologie zur Liebe? d) Wie begründet Maturana die Anerkennung des anderen wie er jeweils ist? Theo: Scherz und Ernst didaktischer Phantasie, das Ganze zu erschließen Wo es schließlich darum geht, vorläufig den Gesamtzusammenhang zu denken, kann man den Standpunkt „Theos“ einnehmen. Eine Ontologie ist nur im Denken eines „Superbeobachters“ möglich (H. Maturanas Wort). Es übersteigt streng wissenschaftli­ches, sog. exaktes Wissen. Der Superbeobachter heiße Theo. Seine Logik hieße dann Theo-Logik, sein Denken Theo-logie. Traditionell ist dies der Standpunkt Gottes. Dessen Platz, aber auch den des Superbe­obachters kann Theo realiter nicht einnehmen, weil er wie alle Menschen immer im Geschehen ist, darin verwickelt und von ihm determiniert. Auch im Denken kann Theo nicht außerhalb dieser Verwicklung sein. Theos Logik ist nicht Theologie im alten Sinne. Diese versuchte zu sagen, was Gott geoffenbart habe, und das glaubt sie in ihren heutigen Vertretern weiterhin zu können. Theo denkt von den Wissenschaften aus aufs Ganze. In Theos Logik ist er selbst das Subjekt, in Theologie der Tradition meinte „Theo“ das Objekt. Theos Logik lässt sich ständig von exaktem Wissen korrigieren, übersteigt es aber denkend auf einen Zusammenhang hin, zu dem Wissenschaft die Möglichkeit bietet und zu dem auch reflektiertes Erleben, also reflektierte Fühlungnahme und Meditation des Lebens gehören. Das Ganze zu denken, hat für Theo darin seinen Sinn, dass es ein Sinnangebot ist und zu dem Bewusstsein dafür führen kann, an welchem Zusammen­hang wir „human beings“ beteiligt sind: Sein als dabeisein dürfen, müssen, können. Theo weiß, dass seine sprachlichen Gebilde da, wo sie strenge Wissenschaft übersteigen, zwar nicht so schön sind wie Literatur, aber beinahe so fiktional, jedenfalls von manchen Sprachwissenschaftlern und Philosophen aufgefasst werden wie Erzählungen oder Gedichte. Manchmal ertappt sich Theo aber doch bei dem naiven Wunsch, dass sein gedachter Gesamtzusammenhang mit etwas übereinstimmen oder doch wenigstens zu tun haben könnte, was es objektiv gibt - auch ohne sein Denken. Logo. Das Ganze denken oder: aufs Ganze denken I. Metaphysische Auffassungen von einem Ganzen: von einem Anderen her, von woanders her, weltflüchtig, Mensch ist nicht von dieser Welt (Buddhismus, Brahmanismus, Iranische Zwei-Prinzipienlehre, Griechisch: Platons Ideenlehre, Gnosis, Christentum. II: Wissenschaftl. Auffassungen von einem Ganzen (seit der Aufklärung) philosophisch, naturwissenschaftlich, dualistisch, monistisch: Wissenschaftliches Denken als integraler Monismus. Versuch auf folgender Seite: Das Ganze wissen Ausgang von I. Kant: "Alles Interesse meiner Vernunft (das spekulative sowohl, als das praktische) vereinigt sich in folgenden drei Fragen: 1. Was kann ich wissen? 2. Was soll ich tun? 3. Was darf ich hoffen?" (K.d.r.V., 1781, B 833f., A 805f., Weischedel-Ausg. Bd 4, Darmstadt 1991, S. 677) Wissen aus Erfahrung und darauf aufbauendem Weiterdenken: ästhet. Erfahrung, wissenschaftl. Erfahrung, religiöse Erfahrung Das Eine (physische Etwas) Monismus: ein Prinzip, Dualismus: zwei Prinzipien Natur Materia, Mater, Bewegung In der Mikrowelt verliert Materie die All- Energie tagseigenschaften, so dass übrigbleibt, Masse was an die Offenheit des Geistes erinnert (H. - P. Dürr) "Was die Welt im Innersten zusammenhält." Erfahrbarkeit der Natur, weil wir Natur sind. Das anthropische Prinzip (St. Hawking) Geschichte der Zeit: Universum Sonne, Erde Leben Lebewesen Menschen, Homo sapiens sapiens Geschichte Höhlenmaler, neolithische Gesellschaft Revolution, Städte, Kulturen, Bewusstsein Antike, Mittelalter, Neuzeit, Moderne, Heute (Arno Peters, Synchronoptische Weltgeschichte. - Leroi-Gourhan. - C. F. v. Weizsäcker, Zeit und Wissen. Gesellschaft: Arbeit, menschliche Lebendigkeit: Welt-­ Sprache, Leben, Erleben Gesellschaft(en): Herrschaft Leben führen Betr.: Das Ganze wissen Das quantitative Wachstum an Wissen führt nicht gleichzeitig zu einer neuen Qualität des Wissens vom Gesamtzusammenhang des Wissens. Arbeitsteilung, Spezialisierung, Desintegration der Wissenschaften, deren Trennung von der Alltagskultur, Segmentierung gesellschaftlicher Erfahrung, Resignation vor der strukturlosen Masse an Daten über Tatsachen und Modelle vertiefen die Entfremdung des Wissens. „Immer weniger aus Erfahrung gespeist und immer mehr die Funktion ideologischer Vermeintlichkeit annehmend, wird das Wissen – statt begreifende Teilhabe an der Wirklichkeit zu sein – zum schlechten Statthalter dessen, was Episteme meint: Kundig sein in der Welt, Wissenschaft haben von den Dingen, Fertigkeiten haben, sie zu meistern, durch Theorie die Vielheit der Erscheinungen im wesentlichen Allgemeinen erkennen, den Bezug zur Wirklichkeit durch die Selbstbezüglichkeit der Reflexion kontrollieren, schließlich: aus Wissen bewusst handeln können.“ „Durch die Trennung des Wissens von selbstreflexiver Erfahrung wird das Wissen von der Wirklichkeit geschieden. Die eigentümliche Logik des Zusammenhangs von Wirklichkeit und Wissen besteht aber darin, dass die Tatsachen des Bewusstseins zwar mit den Tatsachen der objektiven Realität nicht identisch sind, die logischen Formen des Erkennens und die Universalien der Sprache aber ein theoretisches Wissen über die Welt ermöglichen, das seiner Wahrheit gewiss sein kann. Das Wissen ist zum Begreifen und zum Eingreifen fähig, wenn die Erfahrung nicht – weil ohne Konstruktion – blind und die Konstruktion nicht – weil ohne Erfahrung – leer ist.“ Aus: Hans Jörg Sandkühler, Enzyklopädie, Krise des Wissens, Emanzipation. In: Ders., Hrsg., Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Hamburg 1990, Band 1, S. 754f.