Schwarzweissportrait von Josef Fellsches im schwarzen Rollkragenhemd, die rechte Hand das Kinn umfassend, ab Stirnmitte abgeschnitten. Nachdenklich. Foto: Sibylle Ostermann

Café philosophique

Mit der Einrichtung von Cafés Philosophiques – kurz: Café Philo – ist ein neuer Weg zum eigenen Denken geschaffen worden – Denken im Gespräch mit anderen. Initiator war der französische Philosoph Marc Sautet (1947 – 1998). Er gründe­te 1992 im "Café des Phares" an der Place de la Bastille in Paris das erste Café Philo. Das erste in Deutschland eröffnete er 1997 im Malkasten Düsseldorf. Es folgten zahlreiche Eröffnungen in anderen Städten, so dass inzwischen von 150 Cafés Philo rund um die Welt die Rede ist. Die nächstliegenden sind außer Düsseldorf die in Duisburg, Dortmund und Essen.

Eingeladen sind jeweils alle Interessenten, denn Ziel ist nicht eine Art professioneller Philosophiestudien, sondern Philosophieren als gemeinsames Nachdenken über Fragen des alltäglichen gesellschaftlichen und eigenen Lebens. Die Leitung hat jeweils ein/e Moderator/in.

Sautets Dringlichkeitsappell

Marc Sautet verband mit seinem "Café für Sokrates" einen dringlichen Appell zu eigenem neuen Denken gegen die Trends in der globalen Ökonomie und Politik. Das geht deutlich aus seinem gleichnamigen Buch (Berlin 1999) hervor. Seine Analyse der politischen Ökonomie stellt eine bedrohliche Selbstzerstörung der Zivilisation heraus, die abzuwenden es vielleicht schon zu spät sei - ganz so wie im Athen des Sokrates. So unglaublich es erscheinen mag, wir befinden uns heute, in großem Maßstab, in einer ähnlichen Sackgasse.... Damals wie heute drehe sich alles um Geld und Gewinnmaximierung, ohne Rücksicht darauf, was Stadt und Welt zum menschlichen Leben brauchen. Faszinierend begründet er seine These, dass sich in der Geschichte des europäischen Handels zuerst alles ums Gold zu drehen begann, ehe Kopernikus auf die Idee kommen konnte, dass sich die Erde um die goldene Sonne drehe. Sautet wendet sich gegen die These von der Niederlage des Denkens und setzt dagegen, dass das Denken noch über ein enormes Potential verfüge.

Das übliche Vorgehen

Die Themen für das zweistündige gemeinsame Nachdenken und Erörtern werden jeweils von den Teilnehmern vorgeschlagen. Der Moderator wählt ein vielversprechendes Thema aus. Wer das Thema vorgeschlagen hatte, erhält Gelegenheit zu einer Eröffnung und zu einem Schlusswort. Alle Teilnehmer/innen sind gleichermaßen zu Wortmeldungen, Beiträgen und Nachfragen berechtigt. Philosophische Kenntnisse werden nicht erwartet, wohl aber Wille und Bereitschaft zu rationaler Kommunikation.

Was Sie erwarten dürfen

Lust.

Jedenfalls gilt von der Philosophie, dass sie eine durch ihre Reinheit und Dauer großartige Lust gewährt. Aristoteles sprach von drei "bekannten Lebensformen": das Leben des Genusses, das Leben im Dienste des Staates, das Leben als Hingabe an die Philosophie. Philosophieren sei die einzige Tätigkeit, die um ihrer selbst willen geliebt werde, denn außer der geistigen Schau - der Theorie - erwarte man von ihr nichts sonst.
Aristoteles' Wort "hedone" wird übrigens außer mit "Lust" auch mit "Vergnügen", "Genuss" und "Freude" übersetzt.

Abenteuer.

Vor der Lusterfahrung im Philosophieren steht eine Abenteuerlust, denn auch hier gilt: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Gemeint ist das Wagnis, im kritischen Denken seine Standpunkte aufs Spiel zu setzen. Das ist riskant, denn Kritik und Krise hängen miteinander zusammen. Auf die Krise aber folgt die freie Aussicht aus der o. g. "geistigen Schau".

Staunen.

Sie werden besonders darüber staunen, wie schwierig es ist, die alltäglichen Selbstverständlichkeiten zu begründen, und dann darüber, um wie viel mehr es schwieriger ist, einen Konsens über das zu finden, was wir tun und was wir unterlassen sollen. Nicht mehr wundern werden Sie sich vielleicht darüber, wie leicht es sich ohne sonderliches Nachdenken leben lässt (während man allerdings die wichtigen Unter- und Entscheidungen den Mächtigen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung überlässt).

Neues.

Es ist gut möglich, dass die Philosophierenden etwas hervorbringen, was zu Beginn weder beim Einzelnen noch im Ensemble vorhanden war: eine neue Sicht, Klarheit über Zusammenhänge, neue Handlungsmaximen, ein neues Maß für und an Selbstbestimmung.

Schwarzweissportrait von Josef Fellsches, Halbprofil, im schwarzen Rollkragenhemd, die Hände verschränkt. Analytischer, etwas herausfordernder Blick. Foto: Sibylle Ostermann

Wie philosophisches Denken geht

Philosophieren ist eine Tätigkeit, ein Gedankengang - methodisch strenges Denken unter Leitung dessen, wofür das Wort Vernunft steht (lat. "ratio" und "intellectus"; im Niederländischen heißt Vernunft "rede", vgl. unser Wort "Rede" und "red-lich").

Vernunft meldet sich sinnlich schon im kindlichen Staunen; ihr Interesse meldet sie im Fragen an, und sie zeigt sich am stärksten im begründeten Antworten. Sie ist kritisch, weil sie unterscheidet ("kritisch" kommt vom griech. Wort "krinein": sondern, unterscheiden, entscheiden), und sie liebt Begriffsschärfe und Genauigkeit.

Inhalte des Philosophierens können alle Gegenstände aus dem Bereich von Erfahrung und ihren Zusammenhängen sein; außerdem Gegenstände aus dem Bereich des Sollens und schließlich Gegenstände aus dem Bereich der Einschätzung, sogar des Zukünftigen.

Vernünftiges Denken enthält auch Phantasie, aus der die neuen Gedanken, die zündende Idee, das treffende Vorstellungsbild erzeugt werden.
Vernünftiges Denken kennt aber auch Ratlosigkeit und Ausweglosigkeit. Gerade in diesen Situationen kommt es auch auf die Phantasie an, den vielleicht verblüffend neuen Ansatz oder Zugang zu kreieren.

Der philosophische Gedankengang bedarf der Redlichkeit, die allermeist stillschweigend voraus­gesetzt wird, im Bedarfsfall aber auch geprüft werden muss. Zu ihr gehört die Unterstellung von Zurechnungsfähigkeit, Wahrhaftigkeit und der guten Absicht, sich am Fortgang des Denkens beteiligen zu wollen, statt sich z. B. nur hervorzutun oder heute mal den Störer zu spielen - aus Lust, alles diabolisch durcheinander zu ballern (griech.: diaballein).

Intellektuelle Redlichkeit zieht die Ergebnisse einzelwissenschaftlicher Forschung heran und macht deutlich, wo die Grenze des Wissbaren überschritten wird.

Zur Redlichkeit gehört auch die Offenlegung der gedanklichen Voraussetzungen. Allen Aussagen liegen bestimmte Auffassungen zugrunde, die nicht jedes Mal ausdrücklich mitgesagt werden, von denen man aber annimmt, dass sie geteilt werden: z. B. dass jeder für seine Gedanken selbst verantwortlich ist (und nicht etwa ein guter Geist uns gute, ein böser Geist uns schlechte Gedanken eingibt), und dass alle aus einer rationalen Haltung sprechen (und nicht stillschweigend aus religiösen Annahmen). Wer aufgeklärtes Denken für einen Irrweg hält, müsste dies sagen und auch diese Aussage rationalem Denken aussetzen.

Im übrigen verlässt sich Redlichkeit auf Plausibilität, d. h. auf das Prüfkriterium, ob die Aussagen allen einsehbar und insofern verständlich sind.

Was Sie gewinnen können

Sie werden erfahren, was Erwägung ist: ein ganz bestimmter Umgang mit Menschen und ihren Themen. Erwägung ist auch den hitzigen Debatten gewachsen, die wie zwangsläufig entstehen. Sie können Selbständigkeit im Denken erlangen. Gerade im gemeinsamen Nachdenken kann sie erreicht werden. Die Philosophierenden ermöglichen einander, dass ihnen ein Licht aufgeht. Das Wort "Aufklärung" greift eine alte Lichtmetapher auf. Das neue Denken ist erhellend und kann befreiend wirken. Denkverbote, Tabus und Selbstzwänge können in einem Maße aufgelöst und überschritten werden, wie es sich jemand allein vielleicht nie hätte einfallen lassen. Sie lernen Ihre Überzeugungen zu rechtfertigen und schaffen sich neue Orientierungen. Sie erleben, dass Gedankenfreiheit und Handlungsfreiheit zusammen­hängen: Sie werden handlungsfähig auf gesichertem Grund in klarer Sicht. Vorläufig -, aber bei der nächsten Verunsicherung kommt Ihnen die erworbene Selbständigkeit im Denken zugute.

Was also (noch) nicht Philosophieren ist

Ähnlichkeit mit Philosophieren, aber doch mehr Unähnlichkeit hat der Austausch von Meinungen, Ansichten, Befindlichkeiten, Erlebnissen und Witzen. Von diesen Unterhaltungen leben Alltagsgespräche und -diskussionen. In ihnen sehen wir aber auch leichter über manches hinweg, was im Philosophieren nicht redlich ist: Übertreibungen, Angeberei, Vorurteile, unprüfbare Behauptungen, Selbstdarstellung.

Auch die Kunst des geistreichen Nonsens-Gesprächs hat Ähnlichkeit mit Philosophieren, weil sein Witz durch die Umkehrung aller Voraussetzungen zustande kommt.

Das Unterrichtsgespräch, das therapeutische Gespräch, das Glaubensgespräch, die meditative Versenkung und schließlich aller künstlerische Umgang mit Sprache können philosophienah sein, all diese Tätigkeiten haben aber ihren eigenen Sinn. Sie sollten nicht mit Philosophieren gleichgesetzt oder verwechselt werden. Aufgrund von Ähnlichkeit gibt es Zusammenhänge, Mischungen und Schnittmengen, aber diese zu erkennen, setzt die Unterscheidung voraus.